Wie ein Werk des bekannten Regisseurs Agustí Villaronga zum totalen Flop wurde
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Aus Sicht eines Cineasten ist diese Geschichte absolut haarsträubend. Wir schreiben das Jahr 1985. Mallorcas Fremdenverkehrsverband Foment del Turisme möchte einen Film produzieren, um die Insel zu bewerben – ein Aushängeschild, das zum Beispiel auf Messen zum Einsatz kommen sollte. Für diese profane Aufgabe sucht er sich ausgerechnet den jungen Agustí Villaronga, der noch zu Mallorcas bekanntestem Filmemacher werden wird. Doch das avantgardistische Ergebnis missfällt den Auftraggebern, sie lehnen das 20-minütige Werk ab. Und es ward nie mehr gesehen.
Zumindest nicht bis zum Jahr 2023, als Agustí Villaronga starb. Zu diesem Anlass wollte die Journalistin Cati Moyà einen Artikel über die Filme schreiben, die der Regisseur auf Mallorca gedreht hatte – und stieß im Zuge der Recherche auf die Geschichte des verschollenen Werbefilms, von dem nur sehr stark veränderte Kopien aufzutreiben waren. „Ich begann, mit Leuten zu sprechen, die 1986 an den Dreharbeiten beteiligt gewesen waren, aber das Original war nirgends auffindbar“, erzählt Moyà im Gespräch mit der MZ. Eigentlich hatte sie schon aufgegeben, als sie das Archiv des Foment del Turisme nach Material durchforstete. Dort entdeckte sie tatsächlich die intakte und perfekt erhaltene Filmdose, die ganz unspektakulär in einem Schrank verstaubte.
Nervenkitzel wie im Film
Nächste Station: Das Filmarchiv Arxiu del So i de la Imatge. „Dort untersuchten sie den Fund mit weißen Handschuhen, ganz wie im Film“, sagt Moyà. Doch bis sie Villarongas Werk selbst das erste Mal zu Gesicht bekam, sollten noch einige Monate vergehen. Dafür durfte Moyà den Film dann direkt auf der ganz großen Kinoleinwand sehen, bei einer Spezial-Vorführung in der Sala Augusta. Nervenkitzel inklusive, schließlich hätte die rund 40 Jahre alte Filmrolle doch noch unentdeckte Schäden haben können. Oder alle hätten sich irren und im falschen Film sitzen können.
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Der unversehrte Film tauchte im Archiv wieder auf. / Cati Moyà
Doch es ging gut aus. „Es war sehr ergreifend“, erinnert sich die Journalistin. „Villaronga verzichtete auf einen Off-Erzähler, es sind nur mit einer ziemlich speziellen Musik unterlegte Landschaftsaufnahmen von Mallorca. Und das Ganze mit starkem 80er-Jahre-Touch. Das ist für uns sehr ungewohnt und merkwürdig.“ Was die Erfahrung für sie besonders erstaunlich machte, war die Kombination aus dieser Zeitreise durch die Linse eines Ausnahme-Filmemachers mit einer kühnen künstlerischen Vision und der vielen Schauplätze, die den Einheimischen bestens vertraut sind. „Er hat diesen Film wahrhaft als Vollblut-Mallorquiner gedreht, der seine Insel zeigen wollte“, sagt Moyà. Allein: Das Werk wäre wohl tatsächlich besser im Programmkino als auf einer Tourismusmesse aufgehoben gewesen.
Nebel und Wolken statt Sonne und Strand
Mit einer sich ständig bewegenden Kamera eingefangene, atmosphärische Naturbilder, Nebel und Wolken, ein in Zeitlupe fahrendes Schiff oder puristische Aufnahmen der Coves del Drach, dazu ein roter Faden durch ein turtelndes Paar und ein kleines Kind in verschiedenen Kontexten. Die Frau in einem weißen Kleid, wie sie in der Diskothek kokett über die Schulter blickt und die Botschaft vermittelt: Auf Mallorca ist auch Platz für Nachtleben und Romantik. „Die Ästhetik erinnert an Duran Duran, es wirkt wie ein Videoclip aus dieser Ära“, sagt Moyà. „Eine Stelle, in der der Mann auf einem Schimmel am Strand entlangreitet, ist die vielleicht am wenigsten ‚agustinianische‘ Szene“, so die Journalistin. Und diese Sequenz, bei der sich die Herzensdame zudem am Strand rekelt, wäre wohl noch am ehesten für ein Werbevideo geeignet gewesen.
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Sa Foradada, aber nicht bei romantischem Sonnenuntergang. / ARXIU DEL SO I DE LA IMATGE
Gereicht hat das allerdings nicht: Von Seiten des Foment del Turisme dachte man nicht, dass der vorgelegte Film seinen Zweck erfüllen würde. Am Ende setzte man stattdessen auf einen Film mit viel Sonne, Strand, glücklichen Familien und einer Flamencotänzerin. Ein Ärgernis für alle Beteiligten, denn mit dreiwöchigen Dreharbeiten, einem zwölfköpfigem Team und einem üppigen Budget war es keine kleine Produktion gewesen. „Alle, mit denen ich sprach, erinnern sich, dass sie gut bezahlt wurden“, sagt Moyà. Und für den Regisseur sei das Projekt mehr als eine Pflichtübung gewesen, er legte durchaus Ehrgeiz an den Tag.
Wie ist man überhaupt auf Villaronga gekommen?
Dass Villarongas Film, der so gar nicht dem Bild entsprach, das man den Urlaubern gerne vermitteln wollte, abgelehnt wurde, ist für Moyà durchaus nachvollziehbar. „Die eigentliche Frage, die mich von Anfang an umtrieb, ist: Wie sind sie überhaupt erst auf die Idee gekommen, ihm diesen Auftrag zu geben?“ Schließlich sei der Regisseur keine 18 Jahre alt mehr gewesen und habe bereits Filme gedreht gehabt, die von seinem Freigeist zeugten. Man kaufte also schwerlich die Katze im Sack. Das „schwarze Schaf“ beim Fremdenverkehrsverband ist nach wie vor ein fehlendes Puzzleteil in der Geschichte, die Cati Moyà gemeinsam mit Joan Bover als Dokumentarfilm umgesetzt hat. „La cinta perduda d’en Villaronga“ erzählt auch von der spannenden Detektivarbeit der Journalistin und wurde just mit einem Kulturpreis der Stadt Palma ausgezeichnet.
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Cati Moyà und Joan Bover bei den Premis Ciutat de Palma. Ihr Dokumentarfilm über den kuriosen Fall gewann einen Preis. / Ismael Velázquez
Auch wenn Villarongas Film dagegen gar keine Lorbeeren gewann, ist Moyà dankbar für die vermeintliche Fehlentscheidung des Foment. Ohne sie hätten wir heute kein Zeugnis mehr davon, wie der Filmemacher seine Heimatinsel sah. Ein Zeugnis mit Identifikationspotenzial bis heute, sagt Moyà: „Es appelliert an ein kollektives Gedächtnis, das wir alle, die auf Mallorca leben, miteinander teilen.“
Der prämierte Dokumentarfilm „La cinta perduda d’en Villaronga" soll nun auf verschiedenen Filmfestivals präsentiert werden. Laut Cati Moyà ist zudem geplant, Sondervorführungen in Kinos auf Mallorca zu organisieren, bei denen die Doku in Kombination mit dem Originalfilm von Villaronga auf der Leinwand zu sehen ist. Dafür stehen aber derzeit noch keine Termine fest.
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