Sociedad

Womit eine Dichterin dem Swimming Pool ein Denkmal setzt

0
5/5 - (21 votos)


Wenn Marina de Cabo (Palma, 1979) behutsam, zügig und freudig ins Wasser steigt hat das zugleich etwas vom heiligen Bad im Ganges und von kindlichem Planschvergnügen. Sofort ist sie ganz und gar in ihrem Element. Denn Pools sind in den vergangenen zwei Sommern so etwas wie das natürliche Habitat der Poetin geworden: Sie widmete ihnen den Gedichtband „Deixar de fer peu“, der dieses Jahr mit dem Lyrikpreis Premi Joan Alcover Ciutat de Palma ausgezeichnet wurde. Im April erschien er auch in spanischer Übersetzung, unter dem Titel „No hacer pie“ (zu Deutsch: „Nicht stehen können“).

„Über das Meer haben schon sehr viele Menschen geschrieben“, erklärt die ernste Mallorquinerin zu ihrer doch recht ungewöhnlichen Inspirationsquelle. Und da sie in Algaida lebe, das nicht direkt am Meer liegt, seien Strandtage in ihrer Familie stets den Wochenenden vorbehalten gewesen – für den Alltag war das Schwimmbad da. „In gewisser Weise sind das Antonyme, denn das Meer lässt Leben zu – der Pool nicht. Dort wachsen keine Algen, und es gibt keine Fische“, sinniert sie. Ihre Worte untermalt sie oft mit ausladenden Armbewegungen, als würde sie im Trockenen schwimmen.

Radikaler Wandel im Wasser

Damit ihre Form der Lyrik gedeihen kann, sind Pools jedoch die bessere Nährlösung: In der klaren und aseptischen Umgebung des Chlorwassers seien bestimmte Beobachtungen einfacher, sagt De Cabo. Für die „Studien“, die die Basis für die Texte bilden, begab sie sich oft schon zu früher Stunde in die öffentlichen Bäder von Sencelles und Algaida, vor dem Ansturm der Badegäste. Private Pools sieht sie aus ökologischen Gesichtspunkten kritisch, räumt aber ein, dass man dort noch mehr Ruhe und Intimität hat, um visuelle und physische Veränderungen beim Eintauchen zu erforschen: „Du hast kein Gewicht mehr, es ist ein Treiben, fast ein Schweben. Es ähnelt dem Fliegen, nur dass man im Wasser ist“, sagt sie. Man könne den Effekt der Lichtbrechung beobachten, dass sich der Körper scheinbar auflöst und neu zusammensetzt. Und Leichtigkeit erfahren. Wobei De Cabos Gedichte am Ende keineswegs leichte Kost sind, doch dazu später mehr.

Es beginnt also mit einer Intuition, Wahrnehmung oder Empfindung, mit inneren Prozessen, die die Dichterin in Worte übersetzt. „Erdrückende Hitze, verschwitztes Unwohlsein, und nur eine Sekunde später erfährt man durch das Eintauchen einen radikalen Wandel.“ Solche Impulse setzen ihren Kreativprozess in Gang – was mitunter seine Tücken hat: „Ich erinnere mich, wie ich im Freibad von Sencelles schwamm und plötzlich eine Idee hatte – aber die konnte ich dann natürlich nicht aufschreiben“, so die Dichterin. Wenn die Muse einen so feucht küsst, heißt es: schnell aus dem Wasser raus, um den Gedanken fix zu notieren, und sei es improvisiert auf dem Handy.

Die Dichterin erfrischt sich nach dem Interview in einem privaten Pool.

Die Dichterin erfrischt sich nach dem Interview in einem privaten Pool. / B. Rohm

Eine echte Pool-Obsession

Als De Cabo klar wurde, dass es nicht bei ein, zwei Gedichten bleiben würde, begann sie, systematischer über das Wesen der Pools zu reflektieren, die in ihrem Leben schon immer präsent waren: „Ich bin mir bewusst, dass sich das zu einer Obsession entwickelt hat. Und ich habe viel zu dem Thema zu sagen.“ Ihr Lyrikband ist in drei Teile gegliedert: „Aerobia“, „Anaerobia“ und „Otras apneas“.

Die Reise beginnt bei den Schwimmbädern ihrer Kindheit und Jugend. In einem Gedicht erinnert sich De Cabo an den Sommer, als sie zarte vierzehn wurde, und verwebt darin Details: welche Lieder zu jener Zeit im Radio liefen („Wannabe“) oder welches Eis sie aß („Frigopie“). Andere Texte beschreiben, wie die Zeit im Wasser stillsteht, Geräusche der Außenwelt gedämpft werden, das Gefühl für den eigenen Körper verschwindet. Profane Dinge wie reinigende Filteranlagen laden die Dichterin dazu ein, von sich selbst zu fantasieren, frei von Trieben und Schwächen – „ohne Ego, ohne Angst, vor allem aber ohne Wut“, sagt sie. „Wenn ich auf meine zwei kleinen Kinder wütend werde, fühle ich mich danach schlecht und würde mir wünschen, dass eine Filteranlage das, so wie alle anderen Schmutz, von mir nimmt.“

Identitätssuche im Schwimmbad

Nicht nur bei diesem Gedicht wird deutlich: Im ersten Teil des Buches geht es um die Suche nach der eigenen Identität. Um die Frage: Welche meiner Eigenschaften sind unveränderlich und bilden das Ich? „Daran scheitere ich. Denn ich stelle fest, dass nur der Wechsel das Beständige ist“, erklärt De Cabo. Der zweite Teil sei dann quasi eine „Chronik“ dieses persönlichen Scheiterns.

„Da das wie ein symbolisches Untergehen und Ertrinken ist, führe ich dort Elemente wie das Blut ein.“ Die Flüssigkeit des Lebens, die sich im scheinbar blauen Poolwasser auflöst, ohne sich behaupten zu können. Und der Tod schwimmt implizit oft mit. De Cabo stellt sich etwa vor, wie schmerzhaft das Gefühl sein muss, wenn Wasser in die Lunge eindringt.

Erfrischung oder Gefahr?

Es ist die den Schwimmbädern innewohnende Ambivalenz, die es der Dichterin angetan hat. „In einem Pool kann man sich erfrischen, ich würde fast sagen: sich damit retten, wenn es schrecklich heiß ist. Und die Kinder können darin spielen. Aber dann ist es auch ein gefährlicher Ort, weil man ertrinken kann und Unfälle passieren.“

Im dritten Teil hebt sie schließlich den Kopf aus dem Sumpf der eigenen missglückten Selbstfindung, um andere Pools zu beobachten. „Wenn das Ich nicht existiert und ich nichts finde, das mir meine Identität garantiert, dann betrachte ich eben meine Umgebung“, sagt sie. Immer wieder schwappen auch Themen, Referenzen und Ideen von einem Teil des Buches in den anderen über.

So tauchen zum Beispiel an verschiedenen Stellen des Bands insgesamt drei leere Pools auf – ein „kurioses Konzept“, wie De Cabo findet. Denn sind die Schwimmbäder erst einmal ihrer aseptischen Essenz beraubt, erobert sich die Natur diese Orte zurück. Eines dieser Gedichte („Piscina vacía“, unten und in deutscher Übersetzung nachzulesen) spielt im Winter. Es erzählt von einem „Lost Place“ in Cala Estància: einem verlassenen Schwimmbecken, in dem De Cabo passenderweise auch ein Fotoshooting mit Tweedmantel und Taucherbrille hatte. Ein anderer ihrer beschriebenen leeren Pools dient Skatern aus Kalifornien als Spielwiese. Sie kaperten die wegen des Wassermangels trockengelegten Becken und „erfanden das Schwimmen neu“, wie De Cabo sagt.

Marina de Cabo beim Tauchgang im leeren Pool.

Marina de Cabo beim Tauchgang im leeren Pool. / Jaume Garcías Arrom

Balconing in Magaluf

Das Skater-Gedicht stammt aus dem dritten Teil des Buches, der in (pop-)kulturellen Referenzen badet. De Cabo schreibt über eine Fülle von Pools aus Büchern, Kunst und Kino. So fängt sie etwa die Atmosphäre des Films „Drei Farben: Blau“ ein, in dem Juliette Binoche als trauernde Witwe in der Piscine Pontoise in Paris schwimmt, oder stellt sich die Gremlins in der Jugendstil-Therme Gellértbad in Budapest vor.

Beim Lesen des blutigen – und doch sensiblen – Balconing-Gedichts „Piscina d’hotel (Magaluf)“ bekommt man Gänsehaut: De Cabo versetzt sich hier in einen leichtsinnigen britischen Jugendlichen beim letzten bewussten Moment nach seinem Sturz hinein – samt dem „offenen Fleisch wie Hibiskus“ und dem Geräusch des zerbrechenden Schädels. Unbeschwerte Urlaubslektüre für den Hotelpool ist das nicht. Dafür aber anspruchsvolle Lyrik, die nicht an der Oberfläche bleibt und in der man versinken kann, wenn man sich auf sie einlässt.

Piscina vacía

Era enero nuestro

refugio.

Buceábamos en la

piscina vacía

con abrigo de tweed y

aletas de goma.

Las serpientes de luz

hibernaban.

Aguantábamos la

respiración.

Un brote de hiedra

partía un azulejo

—galleta china de la

fortuna—

y trepaba en sentido

inverso.

Leerer Pool

Der Januar war unsere

Zuflucht.

Wir tauchten in dem

leeren Pool

in Tweedmänteln und

Gummiflossen.

Die Lichtschlangen

hielten Winterschlaf.

Wir hielten

die Luft an.

Ein Efeu-Spross

spaltete eine Fliese

– Chinesischer

Glückskeks –

und kletterte

rückwärts.

Buchcover "No hacer pie"

Buchcover «No hacer pie» / Isla Elefante

Marina de Cabo, «No hacer pie», Isla Elefante, 14 Euro. Am 7. September um 12 Uhr liest die Autorin in der Buchhandlung Librería Bartleby & Co. in Berlin und spricht über Pools in der Kultur. Infos unter: bartlebyandcoberlin.com.

Abonnieren, um zu lesen




Galicia y Castilla y León ceden: No aceptarán más inmigrantes menores de edad de los ya pactados

Previous article

Las plantas de energía solar suponen una gran carga para la red eléctrica de Alemania

Next article

You may also like

Comments

Leave a reply

More in Sociedad