Wüsste man nicht um die Kontroversen, die „No Other Land“ angestoßen hat, sähe man zunächst einmal einen starken, ergreifenden Dokumentarfilm. Es braucht nur wenige Sequenzen, um in Masafer Yatta anzukommen, südlich von Hebron im Westjordanland: Die dort lebenden Palästinenser müssen mit ansehen, wie ihre Häuser nach und nach zerstört werden, einem israelischen Truppenübungsplatz weichen sollen. Manche hausen danach notdürftig in Höhlen. Doch die Menschen halten zusammen, und sie leisten Widerstand.
Einer von ihnen ist der junge Basel Adra, der die Zerstörungen filmt und einen fast gleichaltrigen Verbündeten und Freund in dem israelischen Journalisten Yuval Abraham findet. Der Film zeigt Momente der Gewalt, die wohl niemanden kaltlassen, und ist ebenso eindringlich in den Momenten der (Zwischen-)Menschlichkeit: etwa wenn die beiden Aktivisten, die der Glaube an die gemeinsame Sache so fest zusammenschweißt, miteinander ihre Gedanken und Gefühle teilen.
«Der Ungleichheit entgegenstellen»
„Israelis und Palästinenser können keine Freunde sein, wenn sie nicht dieselben Werte teilen und sich gemeinsam der Ungleichheit entgegenstellen“, sagt Yuval Abraham, ernst und konzentriert, beim Interview in einem Hotel in Palma. „Basel und ich sind nicht nur Freunde, die zusammen Hummus essen, wir kämpfen gemeinsam vor Ort, um die militärische Besatzung zu beenden, eine politische Lösung und Gerechtigkeit für alle zu erreichen: für meine Familie, für Basels Familie.“
Man kommt nicht herum um diesen Film, der nun im Rahmen des Atlàntida Film Fest auf Mallorca seine Spanien-Premiere gefeiert hat – für Festivalleiter Jaume Ripoll der wichtigste Moment der diesjährigen Ausgabe. Und doch ist es ein Drahtseilakt, über ihn zu schreiben: Bei der Berlinale 2024 wurde „No Other Land“ mit dem Preis als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet, die Reden der Regisseure stießen jedoch eine Antisemitismus-Kontroverse an, die durch alle Medien ging. Yuval Abraham, der von „Apartheid“ im israelisch besetzten Gebiet gesprochen hatte, erhielt nach eigener Aussage sogar Morddrohungen.
Die Bühne für politische Botschaften genutzt
Im Gespräch sagt der Regisseur zu dem Thema: „Ich bin stolz darauf, was wir in den Reden gesagt haben, und war überrascht von dieser Gegenreaktion in Deutschland.“ Als Nachfahre von Holocaust-Überlebenden sei er geschockt gewesen, dass ihm ein Aufruf zu Frieden und Gerechtigkeit als Antisemitismus ausgelegt worden sei. „Für mich ist das falsch und zeigt, dass diese Leute die falsche Lektion aus dem Holocaust gezogen haben. Sie sollte lauten, gegen Entmenschlichung zu sein.“
Der Filmemacher verurteilt an dieser Stelle ganz grundsätzlich das Töten von Zivilisten: „Am 7. Oktober Menschen bei einem Festival zu massakrieren oder Kinder zu töten war falsch, und ich bin dagegen.“ Am Tag der Berlinale-Gala im Februar seien jedoch zwischen 200 und 300 Palästinenser in Gaza gestorben. Sie hätten daher die Bühne in Deutschland für die politische Botschaft nutzen wollen, dass keine Waffen mehr an Israel geliefert werden sollten. Was die an einigen Stellen geäußerte inhaltliche Kritik am Dokumentarfilm betrifft, dass das Hamas-Massaker in nur einem Satz thematisiert wurde, so betont Abraham wiederum, der Film handle nicht von Gaza, sondern vom Westjordanland.
Mühsame Anreise nach Mallorca
Nach dieser Lesart ist es wohl müßig, mit dem Regie-Kollektiv darüber zu diskutieren, ob die Darstellung eines komplexen Konflikts womöglich zu einseitig geraten ist. Bei der Frage, was sie im Zuschauer auslösen möchten, meldet sich der sonst sehr stille Basel Adra zu Wort: „Wir wollen vor allem, dass die Leute die Realität sehen. Es geht um meine Gemeinschaft in Masafer Yatta, und wir versuchen, die politische Situation dort verständlich zu machen.“ Den Film nun erstmals vor spanischem Publikum zu zeigen, bedeute ihnen beiden viel. „Wir waren sehr glücklich darüber, dass Spanien Palästina offiziell als Staat anerkannt hat“, so Abraham.
Es war indes nicht leicht, den Film auf Mallorca präsentieren zu können: „Ich bin Israeli und habe einen Flughafen in 20 Minuten Entfernung. Basel und (Co-Regisseur) Hamdan mussten in ein anderes Land, nach Jordanien, um hierher zu kommen. Das war kompliziert und hat sie zwei Tage gekostet.“ Diese kurze Geschichte zeigt laut Abraham komprimiert: „Wenn unsere Kinder mal einen Film zusammen machen, sollte nicht einer von ihnen vier Stunden und der andere zwei Tage brauchen. Sie sollten die gleichen Rechte haben. Das ist die Botschaft, an die wir glauben.“ /bro
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