Sociedad

Dieser Comic spielt im spanischen Sommer vor dem Massentourismus

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Es ist ein Gefühl irgendwo zwischen dem Betrachten alter Urlaubsdias und dem Durchblättern der Teenie-Tagebücher, das sich bei der Lektüre des Comics „Cine de verano“ einstellt. Der aus der Provinz Alicante stammende Autor Carmelo Manresa schuf mit der 2021 erschienenen Graphic Novel eine Hommage an den Ort Torrevieja der 1980er-Jahre – als es noch mehr spanische „Sommerfrischler“ als ausländische Touristen gab.

Das Thema trifft angesichts der aktuellen Demonstrationen gegen Massentourismus, teuren Wohnraum und Gentrifizierung mehr denn je einen Nerv. Für den Verlag Dolmen war das nach eigener Aussage Grund genug, nun am 29. August eine katalanische Version des Comics auf den Markt zu bringen, mit Texten der mallorquinischen Journalisten Matias Vallés, Carlos Garrido und Rafel Gallego – schließlich sind die Küsten in Katalonien und auf den Balearen besonders stark von der Problematik betroffen.

Sardinengrillen und Siesta

Ob auf Spanisch oder Katalanisch: Die Graphic Novel ist in jeden Fall äußerst lesenswert. Im Zentrum der Geschichte steht der Jugendliche Pablo, der mit den Eltern, seinen zwei kleinen Schwestern, der tief religiösen Großmutter und einer viel zu großen Topfpflanze im Gepäck zum Zweithäuschen der Familie aufbricht. In den kommenden 14 Kapiteln erwarten ihn keine abgedreht actionreichen Abenteuer, sondern in einem angenehm langsamen Erzähltempo entwickelte, anekdotische Episoden dieses Sommers 1986.

Ganz klassischer Start in den Urlaub – der Schwester wird im Auto übel.

Ganz klassischer Start in den Urlaub – der Schwester wird im Auto übel. / Dolmen

Da gibt es den „verrückten Nachbarn“, der sich zuerst freundlich gibt, dann aber Schimpftiraden über die Familie vom Stapel lässt und ihr Mitbringsel – eine Wassermelone – wütend auf die Straße pfeffert. Oder die obligatorische Siesta nach dem Sardinengrillen bei flirrender Mittagshitze. Die verwirrenden Gefühle des pubertierenden Protagonisten, der zum „puticlub“ geschickt wird, um dort Wein, Sodawasser und Bonbons zu kaufen, und heimlich den Bikini der hübschen ausländischen Nachbarin von der Wäscheleine klaut, um sich damit im Bad einzuschließen. Aber vor allem sind da die unzähligen Eskapaden jugendlichen Leichtsinns, die Pablo im Kreis seiner Torrevieja-Clique erlebt.

Von realen Personen inspiriert

„Das Buch ist ziemlich autobiografisch, eine Abschrift“, sagt Carlos Manresa im Telefoninterview. Der Autor stammt aus einem 30 Kilometer entfernten Ort, in dem damals fast jeder zur heißesten Zeit des Jahres ans Meer fuhr, und lebt heute selbst in Torrevieja. Kein Wunder, dass die von realen Personen inspirierten Charaktere so authentisch wirken: vom frühreifen Sergio, der als Einziger schon eine Freundin hat und gern mit dümmlichen T-Shirt-Sprüchen provoziert, über den leicht verschrobenen Toni, der zum nächtlichen Picknick am Leuchtturm den Campingkocher mitbringt, bis hin zu Manuel Luis im Lacoste-Polohemd, der sich als personifizierte Stimme der Vernunft jeder Entgleisung seiner Freunde widersetzt. Höhepunkt dieses urkomischen Kontrasts: Als die Jungs nach einer Disconacht trampen und an einen betrunkenen Fahrer geraten, denken alle ein vulgäres joder – nur in Manuel Luis’ Denkblase erscheint das artige córcholis („Donnerwetter“).

Nächtliches Picknick am Leuchtturm.

Nächtliches Picknick am Leuchtturm. / Dolmen

Manresa, der auch als Lehrer am Gymnasium arbeitet, sagt: „Einige meiner Schüler haben den Comic gelesen, und sie können sich voll und ganz mit den Figuren identifizieren. Denn auch die Jugendlichen von heute wollen im Sommer vor allem ausgehen und Spaß haben.“ Die Gruppendynamik der Clique und ihre Themen sind zeitlose Phänomene, die Generationen überdauern. Doch die Umgebung und das Lebensgefühl, die den Rahmen der Erzählung bilden, sind heute verschwunden.

Zeitreise gegen das Vermissen

Der Autor spricht mit einer Mischung aus Wehmut und Verbitterung darüber, wie sich der Küstenort durch die Bauwut und den Massentourismus verändert hat – er selbst blicke wenig optimistisch in die Zukunft und plane bereits mit seiner Frau die Emigration an einen ruhigeren Ort. Torrevieja zählte 1970 noch 11.000 Einwohner, 2022 waren es 83.547. „Die Konsequenzen der grenzenlosen Bautätigkeit, ohne dabei ein bisschen an die Zukunft zu denken, tragen wir Einwohner“, klagt Manresa. Eine der letzten Buchseiten ist betitelt mit „Torrevieja (oder jede andere Stadt)“. Dem Autor ist es ein Dorn im Auge, wie Küstenorte in ihrer neuen Uniformität Charme und Essenz verloren haben, uferlos wachsen und heute unter einer Bevölkerungsdichte ächzen, die das verträgliche Maß um ein Vielfaches übersteigt.

Manresa fehlen vor allem die architektonische Vielfalt und das Ambiente, das in den 1980ern so viel entspannter gewesen sei als heute. „Den Sommer in Torrevieja zu verbringen, bedeutete in jener Zeit, zugleich auf dem Land und ganz nah am Strand zu sein“, so der Autor. Statt dicht gedrängter Mini-Apartments gab es nur kleine Privathäuschen. „Die Grundstückspreise waren sehr niedrig, deshalb baute sich dort jeder ein chalet nach seinem persönlichen Geschmack und gab ihm einen originellen Namen.“

Autor und Lehrer: Carmelo Manresa.

Autor und Lehrer: Carmelo Manresa. / Dolmen

Ein Denkmal für die Freiluft-Kinos

Neben den Häusern sind vor allem die titelgebenden Sommerkinos für den Autor Symbole des Verlustes. Denn gerade in der Region Murcia hätten sie eine lange Tradition gehabt: „In Torrevieja gab es bis zu acht Freiluftkinos, die gleichzeitig Programm hatten und auf verschiedene Genres spezialisiert waren. Aber mit der Immobilien-Spekulation sind sie alle ausnahmslos verschwunden“, sagt Manresa, der diesem verloren gegangenen Kulturgut hier ein Denkmal setzen wollte.

Aller Nostalgie zum Trotz gelingt es dem Autor in seiner Graphic Novel, nie in den Kitsch abzudriften. So fährt Pablo etwa in einer Episode mit dem Rad an einen jungfräulichen Strand, liest dort Robinson Crusoe und träumt sich auf die einsame Insel – bis ihn ein eindeutig sexuelles Angebot eines älteren Herrn jäh in die Realität zurückholt. Crusoe und Cruising liegen nah beieinander, Torrevieja war noch nie ein völlig makelloses Paradies. Dennoch schmerzt es den Leser, wenn im letzten Kapitel das chalet mit dem Baumhaus, das Pablo so gut gefiel, dem Erdboden gleichgemacht wird – und von der Villa Mi Sueño nur das zerbrochene Namensschild übrig bleibt.

Spanisches Buchcover von "Cine de verano".

Spanisches Buchcover von «Cine de verano». / Dolmen

Urlaubslektüre: Carmelo Manresa, „Cine de Verano“ (span.) / „Cinema d’estiu“ (kat.), Dolmen Editorial, 208 S., 19,90 Euro.

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