Die Galeristen und Galeristinnen blickten am Samstagnachmittag (21.9.) bange gen Himmel. Der für die Kunstnacht Nit de l’Artvorhergesagte Regen setzte bereits früher ein als erwartet, was dazu führte, dass es ziemlich genau zum Start der 28. Ausgabe des Kunstevents wieder trocken war.
Gutes Timing also, und die Veranstalter und die teilnehmenden Galerien konnten mit dem Andrang sehr zufrieden sein. Wer am Samstagabend zu späterer Stunde in der Altstadt von Palma unterwegs war, traf auf Horden von kunstinteressierten Besuchern.
Viele Höhepunkte
Höhepunkte gab es zuhauf. Das meistfotografierte Motiv dürfte wohl die Installation von Jaume Plensa in der Llotja gewesen sein. Hier hatte der Künstler zwei sieben Meter hohe Frauenköpfe einander gegenüber aufgehängt, die aus unzähligen langen und dünnen Edelstahlseilen gefertigt waren. Die Ausstellung trägt den Titel «Mirall» (Spiegel). Die Besucher posierten neben und unter den Installationen, und als das Sonnenlicht wich und die Köpfe angestrahlt wurden, verstärkte sich die Wirkung noch.
Bei Kewenig hatten diejenigen Glück, die ganz zu Beginn vorbeischauten, als viele sich erst auf den Weg zur Nit de l’Art machten. Die überschaubare Menge an Besuchern am frühen Abend war hier ideal, um im Oratorio die exquisite, aber überschaubare Auswahl an Keramikarbeiten der ägyptischen Künstlerin Ghada Amer gebührend auf sich wirken zu lassen.
Gelungene Premiere der Galería 6a
Eine sehr gute Figur machte die Galería 6a bei ihrer ersten Teilnahme an einer Nit de l’Art. Nicht nur, dass die Ausstellung durch Qualität und Vielfalt überzeugen konnte. Man bekommt auch selten die Gelegenheit, gleich eine ganze Gruppe junger Künstler vom spanischen Festland zu treffen, die durch eine zweiwöchige Residenz auf Mallorca zu einer eingeschworenen Gemeinschaft wurden. Wer sich die Zeit nahm, in der Galerie von Bel Font ein wenig zu verweilen, konnte mit den Künstlern inspirierende Gespräche über ihre Werke führen.
Ordentlich Andrang herrschte den Abend über auch in der Galería Pelaires, wo mehrere Werke der Anfang September verstorbenen renommierten deutschen Künstlerin Rebecca Horn zu sehen waren. Daneben lockten auch Werke von José Davila, Ana Laura Aláez, Andrea Büttner und anderen in die großzügigen Räume der Galerie.
Das menschliche Gehirn bei Fran Reus
Bei Fran Reus etwa gab es ausnahmsweise nur zwei statt drei neue Ausstellungen, weil das Untergeschoss nach wie vor dem sehr gelungenen Projekt des mallorquinischen Künstlers Julià Panadès gewidmet ist. Dafür hat bislang noch niemand den kleinen «Schuhkarton»-Ausstellungsraum The Vault im hinteren Teil des Erdgeschosses so konsequent genutzt wie der polnische Künstler Stach Szumski: Er bemalte sogar die Wände bis in den letzten Winkel, um den Raum in eine Art immersiven Drogentrip ohne Nebenwirkungen zu verwandeln, der auf dem menschlichen Gehirn basiert.
Organisch fügten sich im prächtigen Palacio Can Marqués die Schwarz-Weiß-Bilder des Fotografen André de Plessel in die Umgebung ein. Der in Frankfurt geborene Künstler lebt seit vielen Jahrzehnten in Miami und stellte in dem Stadtpalast großformatige Fotografien aus, die zwischen 1983 und 1996 auf Mallorca, Ibiza und Andalusien mit einer analogen Kamera entstanden sind. De Plessel zeigte nahezu ausnahmslos Frauen verschiedenen Alters und erklärte, dass erst die Analogtechnik den Aufnahmen die enorme Tiefe ermöglichte, die aus den Bildern sprach.
Full House im Casal Solleric
Im Casal Solleric brauchte man spätestens ab 20 Uhr Zeit, Geduld und gute Nerven angesichts der Scharen von Schaulustigen, die sich vor allem zum Eingang der Schau von Concha Jerez drängten, der preisgekrönten Pionierin der spanischen Konzeptkunst. Wer sich dem Gewimmel doch lieber entziehen wollte, um sich die Werke in Ruhe an einem anderen Tag anzusehen, konnte zum Trost zumindest einen Blick auf die preisgekrönte Künstlerin erhaschen, die selbst ebenfalls eine Erscheinung ist.
Auch die Baró Galería freute sich über reichlich interessiertes Publikum, das die Schau der hochkarätigen brasilianischen Künstlerin Lygia Clark sehen wollte. Originell und teils mit humorvollen Bezügen zur Kunstwelt zeigte sich aber auch das zweite Projekt, eine gelungene Gruppenausstellung.
Zu später Stunde fand sich alles, was in der Kunstszene Rang und Namen hat – von Galeristinnen und Galeristen über die Verantwortlichen der Museen bis hin zu den Größen der Lokalpolitik – in der Bar Flexas ein, um die Nacht gemeinsam ausklingen zu lassen.
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