Zu Besuch bei Vater und Sohn Fiol im Reich der Instrumente
Beim Netzkultur-Genre des „Unboxing-Videos“ zieht Gabriel Fiol (38) ganz andere Saiten auf. Denn in einem kurzen Instagram-Clip packt er nicht etwa Kosmetikartikel aus, sondern eine bruchsicher eingewickelte Geige. Liebevoll betrachtet er das Streichinstrument, umarmt es am Ende fast wie ein Baby.
Der zeitgemäße Social-Media-Auftritt ist ein starkes Indiz dafür, dass sich in einem Traditionsbetrieb in Palma gerade ein Generationswechsel vollzieht: Gabriel Fiols Vater, Andreu Fiol (67), ist ein Meister auf dem Gebiet des Geigenbaus. Nächstes Jahr will er sich – offiziell – zur Ruhe setzen und das Geschäft an seinen Sohn übergeben.
Ordnung im Chaos
Die Werkstatt der Fiols versteckt sich in Räumlichkeiten der Kirche. Passiert man den Patio der Parròquia de la Santíssima Trinitat in Palma, geht es eine Treppe hinunter. „Es ist ein Chaos, erschreckt nicht“, warnt Andreu Fiol. Tatsächlich ist es eng, man kann sich vor lauter Kisten, Gerätschaften, Zetteln und Geigenbögen kaum bewegen. Doch hat alles seinen Platz, und hier sind Menschen am Werk, die das Chaos beherrschen.
In einer kleinen Kammer im hintersten Winkel arbeitet der Vater bei spärlichem Licht mit Rosshaar für die Bögen. Unter der Decke sind Stege von Geigen, Bratschen, Kontrabässen und Cellos fein säuberlich aufgehängt. Der Beruf des Geigenbauers – auf Spanisch lutier, der Name geht auf den Lautenbau zurück – umfasst auch andere Streichinstrumente, und nicht nur deren Herstellung, sondern auch Pflege, Wartung und Reparatur.
Selbst hergestellte Werkzeuge
Die meisten Werkzeuge hat Andreu Fiol selbst angefertigt. Sogar den Stärkenmesser, der die Holzdicke der Decke einer Geige erfasst, hat er gebaut. Die Messgeräte, die man im Handel findet, seien ihm zu fehleranfällig und nicht exakt genug: „Sie gehen nur auf Zehntelmillimeter genau, und dieses hier auf Tausendstelmillimeter“, sagt der Meister nicht ohne Stolz.
Seine Geigenbessessenheit begann schon im Alter von fünf Jahren, erzählt er. Der Vater, Gabriels Großvater, war gelernter Schreiner und baute nebenbei aus Leidenschaft Instrumente. Er selbst lernte dann mit 30 Jahren den Beruf in Theorie und Praxis bei den Besten der Besten: in Cremona, dem wichtigsten historischen Zentrum des italienischen Geigenbaus.
Ein mutiger Schritt, zumal Andreu Fiol zu diesem Zeitpunkt schon die Geschicke der väterlichen Werkstatt in Felantix lenkte und selbst eine Familie gegründet hatte: Gabriel war damals kaum zwei Jahre alt, dessen Bruder ein wenig älter. Für vier intensive Jahre zogen die Mallorquiner nach Italien, Gabriels Mutter wurde Bogenmacherin – ein eigener Berufszweig. Ein Stipendium gab es nicht, die Ferien nutzte Andreu Fiol zum Arbeiten. Doch die Befriedigung, endlich in die Welt des Geigenbaus einzutauchen, habe jede Mühe wettgemacht, sagt er. „Für mich ist das hier keine Arbeit. Ich hatte noch nie Urlaub, aber es fühlt sich jeden Tag wie Urlaub an, weil ich das tue, was ich liebe.“
Mangelnde Wertschätzung des Berufs
Und doch hängt der Himmel nicht immer voller Geigen. Wenn es um die Wertschätzung seines Berufes geht, befällt Andreu Fiol Bitterkeit. „In Italien, Deutschland und Frankreich errichtet man Geigenbauern Denkmäler. Der Geigenbau in Spanien, und vor allem auf Mallorca, ist eine Katastrophe“, sagt er. Er sieht den Fortbestand seiner Kunst in Gefahr und wünscht sich, dass sie hier als geregelte Ausbildung anerkannt wird, am besten als Studium an der Hochschule.
Auch persönlich hatte er schwer zu kämpfen: Die fehlende Unterstützung von Banken, Politik und Institutionen habe ihn gezwungen, Anfang der 2000er die 300 Quadratmeter große Werkstatt in Felanitx aufzugeben und nach einer Zwischenlösung in die Räume der Parròquia umzuziehen. „Hier sind wir im Reich der Kirche und haben wenigstens ein bisschen Ruhe“, sagt er.
Freiheit und Innovation
Auch wenn Andreu Fiol im Ausland sicher mehr Geld verdient hätte und auf der Insel buchstäblich ein Schattendasein führt: Seine Werkstatt könne durchaus mit dem Niveau der traditionellen Geigenbaukunst in Cremona mithalten. Mehr noch: Dort müsse man sich streng an die Vorgaben von Stradivari halten. „Hier haben wir niemanden, der uns auf die Finger schaut“, so der Mallorquiner. „Wir können dazulernen, forschen, neue Messinstrumente entwerfen.“ Es mag weniger Anerkennung geben, dafür mehr Freiheit und Innovation.
In Bezug auf das Geschäft bringt nun Gabriel frischen Wind hinein. Der wollte eigentlich auch schon immer Geigenbauer werden, erzählt sein Vater. „Aber ich habe ihm gesagt: Ich brauche doch einen Musiker in der Familie!“ Mit dem Geigenbau könne man schließlich in jedem Alter anfangen – einer seiner Mitschüler in Italien sei ein 88-jähriger Schwede gewesen. „Das ist ein Beruf für ein langes Leben. Wir haben es mit Schwingungen zu tun, und zwar mit positiven. Das hat auch Auswirkungen auf unsere Gesundheit.“ So nutzte also der Sohn seine Jugend dazu, Violoncello zu lernen. Heute ist er Profi-Cellist und mit seiner Partnerin Carme Garí Teil des Duos Voicello.
Vom Vater lernen
Erst mit dem Lockdown während der Corona-Pandemie kam die nötige konzertfreie Atempause, um endlich die Kunst von seinem Vater zu erlernen – „eine langwierige Arbeit, die sehr viel Geduld erfordert“, so der Musiker. Zunächst einmal brauchte er Übungsobjekte. Gabriel Fiol kaufte einen Schwung alter Instrumente in schlechtem Zustand, bei denen er nicht viel kaputt machen konnte. So lernte er risikofrei die Restaurierung. „Ich wollte auf ein bestimmtes Ziel hinarbeiten können, nicht bloß als Selbstzweck“, erklärt er. Diese Pionier-Generation an Streichinstrumenten, denen er neues Leben einhauchte, verkaufte sich anschließend gut.
Der junge Fiol blieb am Ball und spezialisierte sich auf sehr alte Instrumente aus dem 18. Jahrhundert, die für eine historische Aufführungspraxis bestimmt sind. Inzwischen versucht er, ein Gleichgewicht zwischen seinen Tätigkeiten zu finden: Sommers spielt er die meisten Konzerte, winters widmet er der Werkstatt mehr Zeit.
Eine Geige aus Deutschland
Sein Vater setzte auf zwei Standbeine: den Instrumentenbau von der Pike auf – seine große Leidenschaft – und das Alltagsgeschäft, Streichinstrumente eines treuen Kundenkreises zu reparieren. Hier gibt es viel Nachfrage, doch die Arbeit ist schlecht bezahlt. Wenn Gabriel Fiol einmal die Werkstatt führt, will er diesen Bereich einschränken, um noch Zeit für seine Musik zu haben. Und für das – durch die recht hohe Gewinnmarge deutlich lukrativere – Modell Ankauf-Verkauf, das ihm großen Spaß macht. Allein die Probleme bei Instrumenten von Musikschülern zu fixen, erfülle ihn nicht. Der junge Fiol sucht die Herausforderung.
Sein aktueller „Patient“, der einen neuen Steg bekommt, ist die Geige aus dem Unboxing-Video, die er kürzlich bei einer Auktion in einem deutschen Antiquariat erworben hat. „In Deutschland haben Geigen Tradition. Es gibt viele alte und sehr gute Instrumente. Und sie sind nicht so teuer wie in Cremona oder in Frankreich“, erklärt er. Angekaufte Instrumente repariert er und verkauft sie weiter. Was Barockinstrumente betrifft, sei der Markt auf Mallorca aber allmählich gesättigt. Nun geht er daran, seinen Käufer-Radius erweitern.
Neun Monate Arbeit für ein Instrument
Neben Geschäftstüchtigkeit verfügt der Cellist auch über gesunden Pragmatismus. Ein Instrument kostet ihn rund neun Monate harte, intensive Arbeit. Sein Kniff ist die „Serienproduktion“: Fiol führt bei mehreren Instrumenten parallel den gleichen Arbeitsschritt durch, etwa das Öffnen der Decke.
Fiol ist dadurch schneller und effizienter, mehrere Instrumente werden zeitgleich fertig und der Lerneffekt ist durch die direkte Wiederholung wesentlich größer. „Das ist mein drittes Jahr, dass ich mit Barockviolinen arbeite. Ich habe zuerst jedes Jahr vier geschafft, vergangenes Jahr waren es sechs“, sagt er. Auf lange Sicht wolle er Instrumente nicht nur herrichten, sondern auch bauen. „Am liebsten Cellos, dann kann ich direkt selbst darauf spielen …“
„Luthier Fiol“, Bau, Reparatur und Restaurierung von Streichinstrumenten (mit Spezialisierung auf das 18. Jahrhundert), Carrer de Tomàs Forteza, 16, Palma. Kontakt über instagram.com/luthierfiol
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