Ein Probenbesuch auf der Kulturfinca
Im spärlich beleuchteten Veranstaltungssaal der Kulturfinca hat sich eine kleine Gruppe um einen runden Tisch und einen wärmenden Heizpilz geschart. Ist das hier ein illustrer Leseclub? Oder eine Art Debattierkreis für Hobbydenker? Der Eindruck trügt nicht ganz. Denn tatsächlich handelt es sich bei dieser Runde um den festen Kern der „Theaterwerkstatt Mallorca“ (kurz: TWM). Die Amateurtruppe, die hier seit dem Sommer regelmäßig nachmittags zusammenkommt, beschäftigt sich mit tiefgründigen Fragen – angestoßen von Detlef Öhlschläger.
Der ambitionierte Tausendsassa, der vor rund einem Jahr nach Mallorca zog, zuvor in Berlin und in Bayern lebte und „schon immer mit Theater zu tun hatte“, ist der Autor des Stücks, komponierte dafür Musik, führt Regie, sitzt am Klavier und spielt sogar selbst mit. Letzteres war zunächst gar nicht der Plan, seine Figur eines „Hausmeisters Krause“ entwickelte sich mit der Zeit. Sie soll eine Prise Humor einbringen und das Geschehen kommentieren, durch Bemerkungen wie: „Ziemlich scharfer Tobak, finden Sie nicht auch?“
Gespräche über Gott
Und das ist es in der Tat. „Das Stück ist im Prinzip eine riesige Gedankencollage ohne durchgehende Handlung“, erklärt Detlef. Zwei größere Rollen, Figur A und Figur B, unterhalten sich über die Frage, ob es Gott gibt oder nicht. Parallel geht es darum, inwieweit wir mit unserem Handeln heute für die Zukunft verantwortlich sind. Eine Sprecherin führt durch das Stück und verbindet die beiden Teile. Zudem gibt es einige kleinere Rollen: die Personifizierungen von „Wunsch“, „Hoffnung“, „Anspruch“ und „Erwartung“. „Diese vier interagieren dann ganz direkt mit dem Publikum“, erklärt der Regisseur.
Ursprünglich hieß das Werk „Zukunft als Folge der Vergangenheit“ – das klinge jedoch nicht sonderlich griffig. Ein neuer Titel musste her, und zwar: „Was wäre, wenn?“ Eine Frage, die häufig aufkommt in diesem Stück, das primär den Sinn hat, zum Nachdenken anzuregen. Seine Mitstreiter für die Mission, die im Alter zwischen 45 und 75 Jahren sind, fand der Autor per Zeitungsannonce und Mundpropaganda: Christine, Monia, Tina, Ralf und Wiebke sind permanent dabei, einige andere Mitglieder sporadisch – weitere Akteure im Projekt, auch Souffleure oder Techniker, sind willkommen.
Musikalisches Talent entfalten
„Alle sind Laien, keiner hat große Theatererfahrung“, sagt Detlef über seine bisherige Gruppe. Dafür bringen alle Leidenschaft und Motivation mit. „Ich merke jedes Mal, dass ich da so aufgehe und einfach im Flow bin, meine kreative Seite angesprochen wird“, sagt Monia strahlend. Das Theaterspielen tue „einfach der Seele gut“. Zudem kann sie – neben Wiebke, die Chorerfahrung hat – bei dem Projekt auch ihr musikalisches Talent entfalten: Detlef schrieb ihr einen Song mit jazzigem Musical-Touch auf den Leib.
Monia übernimmt eine der Hauptrollen und vertritt die These, dass Gott existiert. Ihre Gegenspielerin ist Christine, die das Weltbild transportiert, dass Gott mit dem Urknall starb und das Leben aus dem Tod entstanden ist. „Wir haben einen Gesprächs-Schlagabtausch auf der Bühne“, so die elegante Seniorin mit der samtenen Hörbuch-Stimme. Detlef ist wichtig, dass die Gruppe lernt, Körper, Mimik und Gestik einzusetzen, um das Publikum bei der Stange zu halten. „Denn der Text ist natürlich teilweise ein philosophischer Hammer.“
Philosophie auf der Bühne
Wie die theoretische Abhandlung den praktischen Sprung auf die Bühne schaffen soll, demonstrieren die Darsteller anschließend bei der Probe. Tina bringt sich auf der Treppe im Saal in Position. Sie hat als Sprecherin den meisten Text und konnte ihn als Erste auswendig – da sind sich alle einig. Nach einem Klavier-Intro von Detlef mit Text-Intermezzi der Darsteller schreitet sie – ganz manierierte Zeremonienmeisterin – die Stufen hinab. „Verehrtes Publikum, ich bin … Ich bin hier. Ich bin jetzt hier. Ich bin jetzt im Hier und Jetzt.“ Die Zuschauer dorthin mitzunehmen und zu provozieren, ihr eigenes Leben zu hinterfragen, ist Tinas Hauptaufgabe.
Ihre Beziehung zu den anderen Akteuren sowie deren Identitäten bleiben zunächst verwirrend, bis sich die Figuren mit Knicksen und Verbeugungen vorstellen. Wenn Christine und Monia schließlich beginnen, ihren verbalen Glaubenskampf auszutragen, strahlt die Skeptikerin eine kühle Gelassenheit aus, ihre Kontrahentin die lächelnde Selbstgewissheit des Gottvertrauens – doch diese Figur scheint sich schneller zu empören. Inhaltlich fordert der Schlagabtausch viel Konzentration.
Charme des Unfertigen
Der Wechsel von Sprechern, Dialogszenen und Musikeinlagen soll für Auflockerung sorgen. Hinzu kommt sogar ein Hauch von Impro-Theater. Als Teil des Reigens der Symbolfiguren wendet sich Ralf ans Publikum: „Bitte sehr, meine Damen und Herren, Ihre Wünsche. Sagen Sie sie mir hier. Hier und jetzt.“ Die Gruppe hat grob mehrere Szenarien zu Antworten entwickelt, die nun mit hoher Wahrscheinlichkeit kommen. Bei der Probe sind es „Frieden“ und „Vernunft“. Nun muss Ralf spontan um weise Worte ringen: „Frieden wäre ja vernünftig, aber Vernunft bedeutet nicht gleich Frieden. Denn wir haben keinen.“ Jubel und Applaus von den anderen.
Nicht nur diese Stelle im Skript, das ganze Projekt hat den Charme des Unfertigen und etwas sehr Demokratisches, denn nicht Detlef dominiert das Geschehen, sondern alle gemeinsam mit ihren Ideen. Die Uraufführung soll im Frühjahr in der Kulturfinca stattfinden, nach der Feuerprobe wünscht sich die TWM weitere Auftrittsmöglichkeiten auf der Insel. Viel Bühnenbild oder Equipment braucht es dazu nicht. Wie der Regisseur es poetisch formuliert: „Das Stück muss sich durch den Ausdruck der Darsteller als geistige Wolke in die Gehirne der Zuschauer senken.“
Wer sich noch anschließen will, kann sich bei Detlef Öhlschläger melden unter Tel.: +49 179-188 08 06.
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